Gaslighting – Subtil und hochgefährlich

Verfasst von Maria | 07.07.2021 | 11:00

„Na hast du wieder mit deinem Kollegen geflirtet?! Ich hab‘ euch durchs Fenster beobachtet!“, so oder so ähnlich begannen viele Diskussionen; Diskussionen, die zum Streit führten, Streits, die wiederum zu Gewalt führten. Dennoch hat sie die Diskussionen geführt und auch alles andere über sich ergehen lassen. Zumindest am Anfang der Beziehung. Sie, das ist Laura. Laura ist 27 Jahre alt und seit drei Jahren mit Ben zusammen. Irgendwann begann sie zu glauben, was ihr gesagt wurde, denn wenn man immer wieder derselben Taten bezichtigt wird, beginnt man zu zweifeln. „War ich vielleicht doch zu offensiv dem anderen gegenüber?“, „Habe ich vermittelt, dass ich ihn betrügen würde?“, all diese Fragen führten dazu, dass sie sich immer mehr isolierte. Sie hat sich nicht mehr mit Freunden und Freundinnen getroffen, sogar von ihrer Familie distanzierte sie sich. Alles nur, um den Anforderungen der Beziehung gerecht zu werden. 

Das Phänomen, was Laura in dieser Beziehung erlebt hat, hat einen Namen: Gaslighting. Gaslighting ist eine besonders perfide Form der psychischen Gewalt, die viele verschiedene Formen annehmen kann und dabei nur ein Ziel hat: Einen Menschen brechen.

WAS IST GASLIGHTING?

Die Bezeichnung Gaslighting ist angelehnt an George Cukors Theaterstück „Gas Light“. (1) In diesem Stück, das später mit Ingrid Bergmann in der Hauptrolle als Ehefrau verfilmt wurde, wird die Frau durch ihren Mann manipuliert. Er stellt Gegenstände anders hin und, titelgebend, dimmt die Gaslichter der Räume, versichert seiner Frau aber, dass sich nichts verändert habe und sie sich das alles einbilde. 

Gaslighting ist eine Form der Manipulation, bei der das Opfer schrittweise verunsichert wird, bis es völlig hilflos ist und an der eigenen Meinung und der Realität zweifelt. (2) Dem Täter oder der Täterin geht es vor allem um Machtdemonstration und der persönlichen Bestätigung dem Opfer überlegen zu sein. Gerät das Opfer durch die Manipulation in eine Abwehrhaltung, wird diese wiederum als Laune des Opfers ausgelegt. Ein typischer Satz, der oft in diesem Zusammenhang fällt: „Warum bist du denn jetzt so schlecht drauf, ich sage doch nur die Wahrheit.“ Die Täter:innen verdrehen die Tatsachen und bestreiten in dem Zusammenhang oft, dass einige Situationen so stattgefunden haben: „Du irrst dich! Das war ganz anders, was du sagst ist falsch!“

Täter:innen leiden oft an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. (1) Nach außen wirken sie super selbstbewusst und souverän, nach innen haben sie jedoch oft ein geringes Selbstwertgefühl und sind abhängig von dem Lob und der Anerkennung anderer Menschen. (1)

Opfer kann im Grunde jede:r werden. Unsichere, von Selbstzweifeln erfüllte Menschen können aber leichter zu Betroffenen werden als Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind. Die Opfer idealisieren die Täter:innen und begeben sich in eine Abhängigkeit, die von den Täter:innen ausgenutzt wird. Dabei kann die Art der Manipulation unterschiedlichste Formen annehmen.

DIE DREI STADIEN VON GASLIGHTING

Gaslighting ist ein systematischer Missbrauch, der das Opfer Stück für Stück von allem isoliert und mürbe macht, bis es sich selbst und seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr vertraut. Die stellvertretende Direktorin des Center of Emotional Intelligence in Yale hat drei verschiedene Stadien des Gaslighting definiert. Unterschieden werden die drei Stadien in Zweifel, Verteidigung und Depression.

Im ersten Stadium entsteht der Zweifel an sich selbst. Über Wochen hinweg unterstellt der Täter oder die Täterin Dinge und Taten, von denen das Opfer ganz genau weiß, dass diese so nicht passiert sind. Die Phase ist geprägt von Diskussionen, Streitigkeiten, dem immer stärker werdenden Zweifeln und dem Gefühl von Verwirrung bei dem Opfer. Dazu kommt die immerwährende Frage, ob nicht vielleicht doch etwas an den ganzen Unterstellungen dran ist, wenn diese sich derart häufen. (3)

Im zweiten Stadium verteidigt sich das Opfer noch gegen den Täter oder die Täterin. Das Opfer will den Täter unbedingt davon überzeugen, dass er oder sie falschliegt. Jede Unterhaltung geht die unter der Manipulation leidende Person immer und immer wieder durch, um nach Beweisen zu suchen, die den Täter oder die Täterin überzeugen. Das geht so lange, bis das Opfer nicht mehr kann und das dritte Stadium einsetzt. (3)

Im dritten Stadium hat das Opfer aufgegeben und verfällt in eine Depression. Es geht nur noch darum, die Zustimmung des Täters oder der Täterin zu bekommen, wobei es keine Rolle spielt ob man sich dafür selbst aufgibt. (3)

Diese drei Stadien zeigen, mit welcher Systematik die Täter:innen sich ihre Opfer „zu eigen“ machen, um sich selbst bestätigt zu fühlen. Dafür nutzen sie unterschiedlichste Formen und Methoden.

WELCHE METHODEN VERWENDET TÄTER:INNEN?

Zu Beginn dieses Textes habe ich schon einige Beispiele genannt, wie sich diese Form der psychischen Gewalt äußern kann. Zur Ausübung von Gaslighting können Täter:innen aber verschiedene Methoden anwenden. Hier einige Beispiele:

- Die Gefühle der betroffenen Person werden nicht respektiert und im schlimmsten Fall sogar abgesprochen. Zum Beispiel: „Hab dich mal nicht so, das ist doch gar nicht so schlimm.“

- Unterstellungen von Taten, von denen das Opfer sicher weiß, diese nicht getan zu haben. Beispielhaft dafür ist die Unterstellung vom Anfang, dass Laura mit jemand anderem geflirtet hätte.

- Bezeichnend ist auch, dass die Täter:innen bestreiten etwas getan zu haben oder das ein Ereignis stattgefunden hat.

- Das Opfer ist außerdem immer Schuld: An Streitigkeiten, Schwierigkeit innerhalb der Beziehung oder aber auch am Arbeitsplatz und vielen anderen Bereichen. Symbolisch dafür sind Sätze wie: „Du wolltest es doch so!“ oder „Du brauchst dich nicht beschweren, du bist doch schuld.“

- Die Täter:innen, die Gaslighting ausüben, haben ein Talent den Opfern das Wort im Mund umzudrehen oder ihnen gar Worte in den Mund zu legen, die sie so nie gesagt haben.

- Täter:innen werfen den Opfern häufig vor, sie würden sich unangemessen verhalten oder kleiden. 

- Unangemessene Kritik wird stetig an den Betroffenen ausgeübt. Sie können dies nicht, sie seien nicht gut genug etc. (4)

Zusätzlich zu den schon aufgezählten Methoden kommt auch noch das Spiel von Nähe und Distanz („Ich will dich!“ – „Nein, geh weg!“) dazu. Außerdem erheben sich die Täter:innen über das Opfer mit Äußerungen wie: „Ohne mich bist du nichts.“ Oder „Sei zufrieden, dass du mich hast:“, um nur zwei mögliche Beispiele nennen.

WIE ERKANNT MAN GASLIGHTING UND WAS KÖNNEN DIE FOLGEN SEIN?

Gaslighting ist ein schleichender Prozess. Am Anfang bekommt man als Betroffene:r vielleicht gar nicht mit was passiert. Sollte man aber irgendwelche Hinweise bemerken, ist ein erster Schritt sich mit Freunden oder der Familie auszutauschen, ob gewisse Situationen wirklich so waren oder ob ihnen etwas aufgefallen ist. Stellt man fest, dass man in einer Beziehung Opfer von Gaslighting wird, gilt es zu erkennen, was das Verhalten bei dem oder der Täter:in auslöst. Da Menschen die gaslighten, wie bereits beschrieben, oft ein vermindertes Selbstwertgefühl haben, fühlen sie sich schnell angegriffen und beginnen Tatsachen zu verdrehen, um in einem besseren Licht dazustehen. In Streits agieren die Täter:innen oft sehr defensiv. Sie unterstellen, dass das Opfer übertreibt oder verrückt ist. Der wohl wichtigste Punkt ist aber, dass man nicht an sich selbst zweifeln darf. Sicherlich kann man mal was falsch in Erinnerung haben, aber wenn einem massenhaft unterstellt wird Dinge getan oder gesagt zu haben, an die man sich nicht erinnern kann, dann sollte man zunächst erst einmal nur auf sich selbst vertrauen. In dem Moment, in dem man seine eigene Realität anzweifelt und das auf Basis der Aussage einer anderen Person, ist das ein sicheres Zeichen für Gaslighting in einer Beziehung. (1)

Als Folge können massive Selbstzweifel entstehen, die die Persönlichkeit des Opfers verändern und sogar eine Persönlichkeitsstörung hervorrufen können. (2) Dr. Bärbel Wardetzki ist Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Narzissmus. Sie erklärt, dass sich eine Depression daraus entwickle, da es jederzeit wieder zu einer Verdrehung der Tatsachen kommen kann, wodurch sich das Opfer unfähig oder gar dumm fühlt. (2)

Die Auswirkungen von Gaslighting können für die Opfer schlimme Folgen haben und maßgeblichen Einfluss auf das Leben nehmen. Dennoch können sich Betroffene gegen die Täter:innen noch nicht offiziell zur Wehr setzen.

STRAFBARKEIT UND VORGEHEN GEGEN TÄTER:INNEN

Gaslighting per se ist zunächst nicht strafbar. Der Bundesgerichtshof begründet die Rechtsprechung zu psychischer Gewalt wie folgt: „Rein psychische Empfindungen genügen [nicht], um einen Körperverletzungserfolg […] zu begründen. Wirkt der Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung daher erst dann vor, wenn ein pathologischer […] Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht. Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, […], aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung […] dar.“ (5) Wer Gaslighting oder auch eine andere Form der psychischen Gewalt erfahren hat und gegen den oder die Täter:in strafrechtlich vorgehen möchte, sollte einen Strafantrag und keine Anzeige stellen. Da nur dann eine Strafe erfolgen kann. Außerdem kann es hilfreich sein, sich an den Weißen Ring e. V. zu wenden, um professionelle Unterstützung zu erhalten.

Wer im persönlichen Rahmen gegen die Täter:innen vorgehen möchte, sollte sich im ersten Schritt Hilfe im Freundeskreis und bei Familienmitgliedern suchen. Betroffene sollten vom Erlebten berichten, sich die eigene Wahrnehmung bestätigen lassen und so vorherrschende Zweifel ausräumen. Dieser Schritt ist besonders wichtig, um die Isolation, in die der Täter oder die Täterin ihr Opfer gebracht hat, zu durchbrechen. Außerdem können diese Menschen bezeugen, dass die Situation oder die Geschehnisse wirklich so passiert sind. In einem zweiten Schritt kann eine therapeutische Betreuung sehr hilfreich sein, um die psychische Gewalt zu verarbeiten und das Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. 

Um dem Täter oder der Täterin das Fehlverhalten nachweisen zu können, sind Beweise unerlässlich. Betroffenen ist es angeraten, ein Tagebuch zu führen, oder Gesprächsprotokolle niederzuschreiben, sodass Fakten und Aussagen dokumentiert sind, mit denen das Opfer den Täter oder die Täterin konfrontieren kann. Wie bereits im vorherigen Abschnitt erklärt, bleibt es dennoch schwierig, eine strafrechtliche Verfolgung anzustreben. Aber allein für die eigene Genesung sind diese Schritte hilfreich.

WAS WIR FÜR DIE ZUKUNFT LERNEN KÖNNEN

Festzuhalten bleibt, dass psychische Gewalt noch nicht in der Form anerkannt wird, wie physische, bei der die Anschuldigungen durch körperliche Beweise belegt werden können. Hervorzuheben ist aber auch, dass psychische Gewalt Auswirkungen auf so viele Bereiche des Lebens haben kann und darunter fällt auch die Physis. Wenn man psychisch nieder gemacht wird, dass man nicht mehr aufstehen, sich nicht mehr konzentrieren, den eigenen Alltag nicht mehr bewältigen kann, weil man alles infrage stellt, dann sind die Auswirkungen meiner Meinung nach absolut sichtbar. Nur leider lässt sich psychische Gewalt nicht so einfach nachweisen wie physische. Und selbst im Falle von physischer Gewalt kann es schwierig werden, denn sind wir mal ehrlich: Wie vielen Frauen wird nicht geglaubt, wenn sie sich offen äußern. In den Medien erleben wir es doch wöchentlich, was passiert, wenn Opfer ihre Anschuldigungen öffentlich machen und eine Entschuldigung, ein Statement oder Konsequenzen fordern und als Reaktionen Beleidigungen und Beschuldigungen ertragen müssen.

Es gibt also noch viel zu tun, bis die Psyche mit der Physis gleichgestellt wird und man Opfer mit dem Respekt behandelt, den sie verdienen. Es erfordert nämlich sehr viel Mut über das Erfahrene offen zu sprechen. Es wird kritisch hinterfragt, was okay ist, es wird grundlegend angezweifelt, was nicht okay ist; es werden Vorwürfe formuliert wie „Warum hast du nicht früher was gesagt“ und es werden Anschuldigungen erhoben wie „Du bist doch selbst schuld, wenn du das mit dir machen lässt“ oder „Warum hast du das nicht längst angezeigt“. Unter diesem Druck muss ein Opfer erst einmal die Kraft finden sich zu den Taten zu äußern. Noch dazu vergessen viele, dass es besonders in Beziehungen, und Gaslighting geschieht meistens in Beziehungen, schwerer ist auszubrechen. Den Schritt zu wagen sich zu trennen und das Fehlverhalten zur Anzeige zu bringen, erfordert sehr viel Mut, sehr viel Kraft und ganz oft auch Zeit.

Deshalb wünsche ich mir, dass Betroffenen mehr und besser zugehört wird und dass es ihnen leichter gemacht wird, sich in einer ohnehin schweren Situation zu öffnen. Zuletzt ist außerdem wichtig zu erwähnen, dass das Phänomen Gaslighting nicht nur in Beziehungen vorkommt. Dieser Beitrag konzentriert sich hauptsächlich auf den Bereich Beziehung. Gaslighting kommt aber auch in anderen Bereichen, wie der Arbeit oder in der Familie vor. Meistens dort, wo ein Machtgefälle entstehen kann.

Die besten Grüße, Maria

Verfasst von Maria

Ich habe Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin studiert. Jetzt schreibe ich gern zu den verschiedensten Themen, die mich bewegen, interessieren und zu Diskussionen anregen.

 

Quellen

(1): Stangl, W. (2021). Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. Abgerufen im Juni 2021:  https://lexikon.stangl.eu/16150/gaslighting 

(2): Möller, H. (kein Datum). Gaslighting: Wenn die Wahrnehmung fremdgesteuert wird. Abgerufen im Juni 2021: https://ze.tt/gaslighting-wenn- die-wahrnehmung-fremdgesteuert-wird/ 

(3): Stern, R., Dr. (2007). The Gaslight Effect: How To Spot and Survive the Hidden Manipulation Others Use To Control Your Life. New York: Morgan Road Books. 

(4): Gaslighting ist subtiler psychischer Missbrauch. Abgerufen im Juni 2021: https://www.jetzt.de/kleiner-drei/gaslighting-subtiler-psychischer-missbrauch

(5): Psychische Körperverletzung im Strafrecht: Tatbestandsvoraussetzungen. Abgerufen im Juli 2021: https://www.koerperverletzung.com/psychische-koerperverletzung/


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